Freitag, 30. September 2011

Respekt für die Knutschkugel



Wie überrascht man einen meistenteils verbohrten Hardcorefan auf angenehme Art? Susan Boyle, die umfangreiche Hausfrau mit dem irren Grinsen aus Britain's Got Talent, hat geschafft, was wenige ihr zugetraut haben. Als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass sie auf ihrem nunmehr dritten Album auch Depeche Modes fast todgerittenen Klassiker "Enjoy The Silence" covern wird, lief die Gemeinde im Forum, wer konnte es ihr verdenken, Sturm - Panik, Hysterie, Rufe nach Lynchjustiz, alles dabei. Nun ist der Song im Netz und - man glaubt es nicht: Die Kommentare der Devoties fallen wider Erwarten überwiegend positiv, ja sogar begeistert aus. Na, das hat die Knutschkugel ja sauber hingekriegt - hier.

Donnerstag, 29. September 2011

Schief war besser



Dum Dum Girls „Only In Dreams“ (Sub Pop)
Glücklich, wer sich selbst zitieren kann. Zu „I Will Be“, dem Erstling der Dum Dum Girls habe ich noch Anfang letzten Jahres neunmalklug behauptet, man werde trotz des gelungenen Debüts von den Mädels aus dem sonnigen Kalifornien in Zukunft nicht mehr viel hören. Nun, da irrte der Rezensent. Offensichtlich haben Sandy, Bambi, Jules und Dee Dee den ersten Hype prächtig überstanden und konnten mit „Only In Dreams“ problemlos nachlegen. Uneingeschränkt freudvoll allerdings läßt sich die neue Platte nicht begrüßen, denn wo die erste noch unaufgeräumt und kantig, manchmal etwas verzogen und schief klang, sind auf der neuen fast alle Unschärfen und durchaus charmanten Nachlässigkeiten beseitigt, die Songs kommen allzu glatt und in nahezu identischer Fasson daher. Der Einstieg mit „Always Looking“ und feinen James-Bond-Hooks kann gerade noch begeistern, danach allerdings wurde zu häufig bei den Bangles hospitiert, die liebgewonnene, wüste Schrammelei kommt zugunsten gut gelaunter Popmucke leider viel zu kurz. Das Einerlei dauert bis zum dunklen, behäbigen „Coming Down“, das sich ein paar schillernde Noiseakkorde traut und einen wieder aufmerken läßt, auch „Teardrops On My Pillow“ können die vier als Tanz aus der Reihe verbuchen. Der Rest ist nett, aber in der Summe zu harmlos für den großen, zweiten Wurf. Eine Prognose fürs nächste Jahr gibt’s hier aber (s.o.) trotzdem nicht.
http://wearedumdumgirls.com/

Zweimal Banks für NYC



Ganz im Guttenbergschen Sinne hier eine freundliche Kopie, die sich allerdings keinesfalls als Original ausgeben will. Gemäß dem Motto, hier wird vervielfältigt was gefällt, muß also an dieser Stelle - die SPEX macht es schließlich auch nicht anders - noch dringend auf einen Artikel des GuardianMusicBlogs und damit auf die grundsympathische New Yorker Rapperin Azealia Banks hingewiesen werden, die mit ihrem feinen Song "212" und dem dazugehörigen Schwarzweiß-Video im Stile von Tyler The Creators "Jonkers" gerade für Furore sorgt. Der Arbeitsbeschreibung ist schwer etwas neues hinzuzufügen - deshalb hier im O-Ton: "It's basically three different songs fused together to create a startling three and a half minutes of attitude. The first section features a filthy rap about cunnilingus over bouncing electro beats, before the beat drops out around the halfway point giving Banks a chance to show off her singing chops. For the finale, the beat mutates again, ramping up slowly before disintegrating in a mass of tweaked synths." Genauso isses. Und dass Frau Banks auch etwas für Herrn (Paul) Banks tut und sich "Slow Hands" von Interpol vorgenommen hat, rundet diese Meldung bestens ab.
http://www.myspace.com/azealiabanks

Mittwoch, 28. September 2011

Trommelfellperforation



The Bloody Hollies “Yours Until The Bitter End” (Alive Records)
Dem Fußballspieler Thomas “Icke” Häßler wird der amüsante Spruch zugeschrieben: “Wir hatten uns vorgenommen, nicht in Rückstand zu geraten. Das hat auch bis zum Gegentor ganz gut geklappt.“ Meine Variation lautet: „Ich hatte mir vorgenommen, das dumme Gefasel der Gebrüder Gallagher nicht mehr zu kommentieren. Das hat auch bis zum nächsten dummen Gefasel ganz gut geklappt.“ Noel, stolzer Besitzer von 50 Prozent der brüderlich gerecht geteilten Beschränktheit, jedenfalls behauptete kürzlich: "Wenn es schlecht steht [um den Rock’n Roll], ist irgendwo irgendwer wie Ian Brown, Liam oder Bobby Gillespie oder ein Songwriter wie ich, der die Story wiedergeben kann". Für jemanden, dessen Verständnis von Rockmusik bei versoffenem Britpop hängen geblieben ist, geht dieser Satz natürlich in Ordnung, alle anderen sollten es vielleicht mal mit den Bloody Hollies versuchen. Garage Punk aus Buffalo, New York, so wild und ungestühm, wie es nicht einmal die Strokes in ihren Anfangstagen waren und um einiges lauter als die Kings Of Leon, als man sie noch ernstnehmen konnte. „Yours Until The Bitter End“ ist, das muß der Rezensent leider bekennen, schon ihre fünfte Platte – nicht aufgepaßt, Alter. Egal, Doyle klingt wie der Zwillingsbruder von Jack White, die Songs haben ordentlich Schmackes und erinnern so natürlich zuvorderst an die White Stripes, nicht weniger jedoch auch an liebgewonnene Rockstandards von Led Zeppelin oder der John Spencer Blues Explosion. Ach, manchmal braucht man so eine Trommelfellperforation, für den Rocker tief drinnen ist das pures Wellnessprogramm. Ganz egal, was ein Noel Gallagher für einen Bullshit verzapft.
http://www.bloodyhollies.com/

Kleines "B" aus Brooklyn



Firehorse „And So They Run Faster“ (PledgeMusic)
Natürlich ist es kein allzu großes Geheimnis, dass der New Yorker Stadtteil Brooklyn für die alternative Musikszene der Stadt und des Landes eine Art ewig sprudelnder Jungbrunnen ist. Jahr um Jahr, ja fast Woche um Woche tauchen neue Künstler auf, die sich auf das Viertel als Keimzelle ihrer Kreativität berufen. Setzt man die Menge honoriger Namen (aktuell u.a. MGMT, TV On The Radio, The Flaming Lips, The Drums, Neon Indian, Interpol, Dirty Projectors, The Strokes, etc.), bezogen auf die zur Verfügung stehende Fläche (251 km²) spaßeshalber ins Verhältnis zum Saarland (2.570 km²), kommt man auf ein wenig schmeichelhaftes Ergebnis. Natürlich ist das Kokolores, die armen Saarländer haben derartige Vergleiche nicht verdient und ohne Zweifel andere, nicht weniger lobenswerte Vorzüge. Es zeigt aber, wie gewaltig das Potential des kulturellen Melting Pots Brooklyn nach wie vor ist.

Auch Leah Siegel stammt samt ihres Projekts Firehorse aus dieser Ecke und auch sie befeuert mit ihrem Debütalbum „And So They Run Faster“ den guten Ruf des Quartiers. Auf der Promonotiz zur Platte, in grauer Vorzeit noch Waschzettel genannt, wird davor gewarnt, die Dame mit dem „B-Wort“ in Verbindung zu bringen, hört man die ersten Takte des Openers „She’s A River“, weiß man, dass „B“ für Björk stehen muss. Ähnlichkeiten zu deren Songs „Army Of Me“ oder „Human Behavior“ sind in der Tat auffällig, erschöpfen sich aber rasch. Siegel selbst bringt dagegen den Electroblues von Eels als Quelle der Inspiration ins Gespräch, auch das kann man gelten lassen – es scheppert und kratzt recht vertraut im Verlaufe der neun Songs.

Zum Glück erweist sich recht schnell, dass Firehorse nicht zum nächsten Wiederaufguß unheilsschwangerer Synthieopern zu zählen sind, zu oft variieren sie dafür Tempo, Charakter und Instrumentierung der Stücke. Wenn „Only The Birds“ verworren und verspielt klingt, hüpft „Machete Gang Holiday“ munter daher, „Puppet“ glänzt mit melancholischen Kravallgitarren Marke Interpol zu schleppendem Beat und „My Left Eye“ erinnert an eine verlangsamte, aufgehellte Version von Nick Caves „The Carny“. Ganz am Ende pluckert es für „Baby Bird“ fast neun Minuten zu sphärischen Klängen und endlos geloopten Gesangssequenzen, da zwinkert das „B“ natürlich wieder frech über die Schulter. Den Reiz der Platte kann das nicht mindern, in Brooklyn stört sich an solchen Petitessen wohl niemand, vom Saarland ganz zu schweigen.
http://www.thisisfirehorse.com/

Question? Answer.



Jetzt ist es also raus: Wie Paul Rees, Chefredakteur des Q-Magazine, kürzlich zwitscherte, wird am 26. Oktober das Novemberheft des Musikmagazins inklusive der angekündigten Cover-CD für U2's "Achtung Baby" erscheinen - mit dabei wie schon berichtet Depeche Mode ("So Cruel"), Jack White ("Love Is Blindness"), Patti Smith ("Until The End Of The World") und Damian Rice ("One"). Na denn, warten wir noch einen Monat ...

Dienstag, 27. September 2011

Entgegnung


Lieber Herr Ahlig,
tolle Sache, so eine Journalistenschule – gleich so ein fetter Zweispalter auf der 3 der Welt Kompakt und keine Schlußredaktion, die einem in die Suppe spuckt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Sie unkorrigiert Sachen schreiben können wie solch groben Unfug, Nirvanas „Nevermind“ hätte für den Einzug des HipHop in die Gitarrenwelt gesorgt? Sagen Ihnen eigentlich Namen wie Run D.M.C. und Aerosmith etwas, sind ihnen die Red Hot Chili Peppers mit ihrem Frühwerk geläufig oder war das alles vor Ihrer Zeit? Ebenso gewagt der Vorwurf, Nirvana wären für die Verirrungen des NuMetal und eines nicht näher benannten Post-Grunge (?) verantwortlich. Und wo sagten Sie, schreiben Sie? Metal Hammer? Und weiß man da nicht, dass Metallica seit ihrem ach so „legendären schwarzen Album“ in der Metalszene eher mitleidig belächelt werden? Dass alle Grungebands und –jünger sich durch die Bank damit hervortaten, in „dreckigen Klamotten herumzulaufen, sich von der Politik abzuwenden und ihr eigenes Nichtstun zu glorifizieren“ klingt zwar als Pointe ganz nett, geht an der Realität aber um mehr als eine Haaresbreite vorbei und hinterfragt in keinster Weise die Gründe für die Frustration einer Generation, die den Wechsel von Reagan zu Bush nicht gerade als neue Heilsverkündung wahrnahm. Da stehen Sie natürlich drüber, lieber noch ein lockerer Depressionswitz zum Abschluß. Ich denke, an diesem Thema haben Sie sich ein klein wenig verhoben und ohne ihrer Zeitschrift zu nahe treten zu wollen: Sie wären mal besser dort geblieben. Herzliche Grüße, Martin Lorenz.

Dumpfbacke zum Sammeln



Am Donnerstag dieser Woche wird die 204. Ausgabe des deutschen Rolling Stone mit einem streng limitierten Sammelcover erscheinen. Klaus Voormann, Musiker und Grafikerlegende und Schöpfer der Vinylhülle des "Revolver"-Albums der Beatles, konnte von des AS-Media für einen Siebdruck von Noel Gallagher gewonnen werden - ganz genial: Es wird nur 204 Hefte mit diesem charismatischen Charaktergesicht geben, der bedauernswerte Rest wird dann wahrscheinlich den doofen Liam auf dem Titel haben oder wieder mal Dylanspringsteenjaggerrichardsbono... etc. Um den Springer-Konzern muß einem dabei nicht bange sein, der schiebt schon am darauffolgenden Wochenende ein noch dümmeres Klebebildchenheft "Deutschland sammelt Deutschland" hinterher, Herrn Voormann allerdings sollte man schon die Frage stellen: "Where did your taste go?" Leer ausgegangene Leser können das Motiv im Übrigen ab dem Erscheinungstag für schlappe 139 Euro bei der Zeitschrift bestellen, Abonnenten bekommen selbiges für 99 Euro fast hinterhergeschmissen.

Montag, 26. September 2011

Neues vom Unaufdringlichen



Ryan Adams „Ashes & Fire“ (Capitol)
Man kann Ryan Adams sicher nicht vorwerfen, er hätte jemals aufdringliche Musik gemacht. Unausgegorene, vorschnelle Veröffentlichungen waren vielleicht dabei, denkt man an Platten wie „Demolition“, „Rock’n Roll“ oder „Easy Tiger“, die ja eher rockig sein sollten, dann manchmal auch etwas unglückliche, aber aufdringlich war er nie. Und auch sein neues Album „Ashes & Fire“ ist so völlig frei von jeder selbstgefälligen, großspurigen Pose – allein das erste Stück beginnt mit so viel Bedacht und Behutsamkeit, dass man fast das Gefühl hat, er traue sich nicht so recht ins Scheinwerferlicht zurück.

Das stimmt natürlich nicht, obschon er für seine Verhältnisse recht lange Zeit aus dem Focus war – hier mal ein Cover, da ein Reissue, diese Stille kannte man so gar nicht von dem mittlerweile 37-jährigen aus Jacksonville. Schön deshalb, dass „Ashes & Fire“ so ganz aus dem Adams’schen Humus zu kommen scheint: Klassische Arrangements ohne jeden Schnörkel, Songs, die – wie man gern dahersalbadert – so ganz auf sich gestellt sind und allein wachsen müssen. Der Titeltrack ein beschwingter Countryblues in bester Dylanmanier, das intime, mit brüchiger Stimme gewisperte „Rocks“, der Heuler „Do I Wait“ und natürlich „Chains Of Love“ – mit einer Stimme wie James Dean Bradfield, nur ohne Agitprop und hohles Pathos. Adams schüttet dem Zuhörer das Herz aus – er hat nie etwas anderes getan, Sehnsüchte, Verletzlichkeiten, Einsamkeit und Trost im Übermaß.

Er kann das – einfache Worte wählen, die anderen kitschig geraten würden, bei ihm aber nicht abgeschmackt oder aufgesetzt wirken, sondern klar und aufrichtig. „Kindness“ ist so ein Gratwandler, „Come Home“ ebenso und bei „I Love You But I Don’t Know What To Say“ ist der Titel reine Koketterie – er weiß es eben sehr genau. „The lights will draw you in, and the dark will bring you down, and the night will break your heart, but only if you're lucky now” heißt es in “Lucky Now”, der ersten Single des Albums, und irgendwie geht’s einem mit dieser Scheibe genauso – auch wenn die Freude von kurzer Dauer sein wird, man hat sie sicher für diesen einen, kostbaren Moment.
http://www.paxamrecords.com/

Grober Klotz im Netz



„James Hetfield should start drinking again!“

Userkommentar zum ersten komplett gestreamten Song „The View“ aus dem Album „Lulu“ von Lou Reed und Metallica.

Sonntag, 25. September 2011

Rock'n'Roll Hausmusik



Kitty, Daisy & Lewis, Kesselhaus München, 23.09.2011
Das hat schon was: Kids von heute machen für Leute von gestern Musik von vorgestern und alle haben mordsmäßig Spaß dabei. Das jedenfalls hätte das Credo für den Abend sein können, eine vollgepackte Werkhalle mit bunt gemischtem, erwartungsfrohem Publikum, dazu die zweifellos famose Platte der Geschwister Durham, „Smoking In Heaven“, die sie nach dem nicht minder gelungenen Debüt endgültig aus der Liebhabernische katapultiert hat. Diese so virtuose wie lässige Aufkoche alter Rockabillyrhythmen, gemischt mit Ska, Rocksteady und einer Prise Reggae – da musste die Halle kochen.

Wie aber sollte sie, wenn nur die ersten fünf Reihen den Sound in Bestform abbekamen, das Publikum jedoch schon in Höhe des Mischpults mit Zimmerlautstärke beschallt wurde und man hinten bei Bar und Galerie mit formlos wummerndem Soundbrei nur noch die ungefähre Ahnung des hippen Konzertauftriebs vernehmen durfte? Es war, bei aller Mühe, die sich die Familienbande da vorn auf der Bühne gab, ein Armutszeugnis für Veranstalter und Tonregie gleichermaßen, wie mies der Sound für die Umgebung abgemischt wurde. Abgesehen von den ständigen, störenden Rückkopplungen wurden die Boxen im Rückraum des langen Gebäudeschlauchs erst gar nicht eingestöpselt, die zuvor prognostizierte Ausgelassenheit war so nur sequenziell zu erleben.

Gerade wenn man weiß, dass Vater Graeme Durham, der die Kinder Kitty, Daisy und Lewis genau wie Muttern auf allen Konzerten musikalisch begleitet, größten Wert auf exzellenten Sound legt – erst kürzlich konnte man in der SPEX von einer launigen Führung durch sein antikes Aufnahmestudio in Camden lesen – vor diesem Hintergrund also hätte der Mann in Kenntnis dessen, was dem Zuhörer da für sein Geld geboten wurde, Qualen leiden müssen. Zynisch könnte wer behaupten, dass selbst eine Verlegung des Konzerts wegen einer Bombendrohung, wie sie der Combo neulich in Berlin passierte, wahrscheinlich nichts Wesentliches geändert hätte, Münchens Hallenkultur ist und bleibt für Bands und Publikum ein dauerhaftes Ärgernis.

Es soll natürlich keineswegs verschwiegen werden, dass man selbst bei diesen widrigen Begleitumständen ahnen konnte, wie gut Kitty, Daisy & Lewis tatsächlich an besser bespielbaren Orten harmonieren und glänzen können. Denn auch wenn sie ab und an etwas hüftsteif und unbeholfen wirken, haben sie doch alles Handwerkszeug, um die Masse vor der Bühne dauerhaft zu fesseln. Und in den seltenen, den perfekten Momenten gelang ihnen das auch an diesem Abend: Etwa beim entspannten „Tomorrow“ mit Gasttrompeter Eddie „Tan Tan“ Thornton, einem prächtig swingenden „Don’t Make A Fool Out Of Me“, dem furiosen Instrumentaljam gegen Ende oder – die Snaredrum am Bühnenrand in Stellung gebracht – mit dem rotzigen „I’m Going Back“. Die drei Geschwister ergänzen sich dabei unter den wachsamen Blicken der elterlichen Rhythmusgruppe ganz prächtig und wechselnd gekonnt die Positionen – der kantig rebellische Spielstil der älteren Schwester Daisy an Schlagwerk und Tasten war auch optisch ein entzückender Hingucker.

So entließ einen die spielfreudige Band in einer Mischung aus Mißmut, Bedauern und versöhnlicher Bewunderung, am Ausgang traf man den Blick eines gealterten Tollenträgers, der ein mildes Lächeln im Gesicht trug. Der hatte ganz sicher schon wildere Rock’n’Roller auf und vor der Bühne in seinem Leben gesehen, und sein Blick spottete vielleicht ein wenig den trendgefütterten, jetzt ernüchterten Zuhörern – die Band selbst, das würde wohl auch er anerkennen, wird sich von solchen Tiefschlägen nicht unterkriegen lassen, die sind schließlich noch jung, auch wenn sie sich unsterblich in die alte Musik verliebt haben.

Freitag, 23. September 2011

Heraus aus dem Laubhaufen



Zola Jesus „Conatus“ (Souterrain Transmissions)
Nicht selten schlagen Menschen, denen man im Gespräch mit dem Thema New Goth, sprich dem Revival trübe gelaunter Finstermucke kommt, genervt die Hände überm Kopf zusammen, manch einer täuscht sogar allergische Abwehrreaktionen wie Schnappatmung oder nervöse Zuckungen vor – die Angst vor der Wiedererweckung dieses übel beleumundeten Genres ist weitverbreitet und groß.

Und doch gibt es für Furcht nicht den geringsten Anlass. Hatte man noch Mitte der achtziger Jahre das Gefühl, das Haupterkennungsmerkmal dieser Musik wäre eine grabestiefe Stimme, welche sich stets jaulend aus einem modrigen Laubhaufen erhebt (und die Protagonisten gaben dieser Theorie auch optisch genügend Futter), so kann man jetzt erleichtert konstatieren, dass die aktuellen Wiedergänger wie Esben & The Witch oder Cold Cave, viel mehr aber noch die weiblichen Hauptdarstellerinnen bei Planningtorock, Austra, Fever Ray und EMA, der variantenreichen Musik auch wieder Ästhetik, Stilbewußtsein und Eleganz beigefügt haben. Und natürlich spielt Nika Roza Danilova alias Zola Jesus seit ihrem Debüt „Stridulum“ in dieser Liga ganz vorn mit.

Daran wird sich mit dem neuen Album auch nichts ändern, Danilova bleibt mit „Conatus“ auf dem von ihr eingeschlagenen Weg. Wieder kombiniert sie geschickt ihre barmend vorgetragenen, tieftraurigen Texte mit hypnotischen und relativ einfach strukturierten Melodien und verhaltenem, dunkel pochendem Beat, wobei auffällt, dass sie die Bandbreite ihrer Stimme deutlich mehr ausschöpft als noch beim Vorgänger. Das geht hin bis zu bloßer Lautmalerei wie bei „Ixode“, wo der Gesang nicht mehr und nicht weniger ist als eine mehrspurige Textur. Den größten Sog, das vollkommenste Leuchten erzeugen „Vessel“ und das Schlußstück „Collapse“. Ersteres habe sie, so Danilova, in dreißig Minuten geschrieben, eine betörende, technoide Klangkulisse, letzteres ein tranceartiger Trauergesang voller Schmerz und Hilflosigkeit: „And I would be nothing without your fear, because I've got no war the day it grows thin, I've got no war the day you go away. It hurts to let you in."

Vieles mehr noch ließe sich erwähnen – das trockene Schlagwerk von “Avalanche”, das überraschend helle und tanzbare „Seekir“, das recht gegensätzliche, weil poppige Ohnmachtsbekenntnis „In Your Nature“ („If it’s still in your nature, you’ll never win“) oder die sanfte Pianoballade „Skin“. Das mag verrückt klingen, aber mit etwas Fantasie entdeckt man mit der Zeit Parallelen zu Kate Bush („Hounds Of Love“) oder gar Jennifer Rush („The Power Of Love“), denn trotz der düsteren Einfärbung ihrer Songs ist Zola Jesus auf „Conatus“ mehr und mehr bereit für den großen, den gefühlvollen, gern auch pathetisch überhöhten Moment. Und da gilt dann: ein Lovesong ist ein Lovesong ist ein … naja, das ist dann vielleicht doch eine zu exklusive Sicht der Dinge. Unterschreiben muß das niemand, belassen wir es dabei, dass es eine großartige Platte geworden ist, vor- und fürsorglich für die ungemütlichen Tage gemacht, die jetzt bald anstehen.
www.zolajesus.com

Donnerstag, 22. September 2011

Platzpatronen



The Rifles „Freedom Run“ (Right Hook Records)
Da lobt man sie immer und überall, die Veränderung, und wenn sie dann mal kommt, ist’s auch wieder nicht recht. Arme Rifles, da wagen sich die Jungs aus London nach zwei formidablen und geradeausgerockten Alben auf neue und für sie reichlich ungewohnte Pfade und landen leider mitten im Sumpfgebiet des melodischen Gitarrenpops. Wer hätte das denn auch ahnen sollen? Gerade erst konnte man im Netz zwei kleinere Schnipsel eines aktuellen Konzerts der Band in Liam Gallaghers Klamottenbude „Prettygreen“ bestaunen und vielleicht hätte man da schon stutzig werden müssen, dass beide Songs, „Spend A Lifetime“ und „Romeo & Julie“, von den Vorgängern des neuen Werks, also „No Love Lost“ und „Great Escape“ stammten. Hätten die anwesenden Gäste, wegen des Auftrittsortes mutmaßlich allesamt hartgesottene Britpopfans, das neue Album vorher zur Gänze hören dürfen, den Rifles wäre wohl der Zutritt zum Laden aufs Strengste verboten worden.

Was, muß man fragen, hat die Jungs dazu getrieben, ihren einstmals so erfrischenden und knackigen Sound gegen diese langweilige und überzuckerte Popsoße einzutauschen? Angefangen bei der ersten Single „Tangled Up In Love“, die mit drögen Streichern daherkommt über das mehr als mittelmäßige „Dreamer“ bis hin zu Langweilern wie „Nothing Matters“, „Coming Home“ und „I Get Low“, alles versinkt in verkitschtem Soundbrei, den auch Keane, Starsailor und Coldplay seit Jahren verrühren. Mit etwas gutem Willen läßt sich „Long Walk Back“ dabei noch ausklammern, hier wackelt endlich mal die Bude, auch „Eveline“ und „Love Is A Key“ könnten noch als kleine Beatles-Momente durchgehen, für Britpopper ja noch immer so eine Art Pflichtprogramm.

Viel mehr aber wird’s nicht – selbst der vergleichsweise abwechslungsreichste Arbeitsnachweis, das gut sechsminütige „Little Boy Blue“, kann da nicht versöhnen, der Sound kommt zwar einigermaßen schräg daher, dafür läßt einen die politisierende Erbauungslyrik kopfschüttelnd zurück. Dass man Pop und Rock auch gewinnbringend in eine Form gießen kann und trotzdem seinen Kredit nicht verspielt, haben gerade erst die Arctic Monkeys mit ihrem „Suck It And See“ bewiesen, die Rifles allerdings müssen sich mit den Worten von Chefstern Frank Spilker fragen lassen: „Was hat Euch bloß so ruiniert?“
http://www.therifles.net/

Kommen und gehen



Gerade erst haben R.E.M. auf ihre Art den „Horst“ gemacht und einen Teil der Musikwelt in Trauer (Fans, Feuilletonisten) bzw. Angst und Schrecken (Depeche Mode, U2, Rolling Stones, etc.) versetzt, da kommt aus dem Netz als Lichtlein der Hoffnung (hat’s der Pabst womöglich mitgebracht?) folgende Nachricht daher: Guided By Voices, altgediente Könige der Low Fidelity um Sänger Robert Pollard werden wohl in naher Zukunft ein neues Album in Originalbesetzung aufnehmen. Heißen soll das Machwerk lustigerweise „Let’s Go Eat The Factory“. Ach, was hat man auf diesen Tag schon unnötigerweise schimpfen wollen ...

Disappear



Auch an dieser Stelle natürlich eine Träne für die Meldung, die es sogar in die Laufbänder geschäftiger Nachrichtensender schaffte: R.E.M. geben nach 31 Dienstjahren ihre Trennung bekannt und zwar höchstselbst auf ihrer eigenen Website:

"To all our fans and friends: as REM, and as lifelong friends and co-conspirators, we have decided to call it a day as a band. We walk away with a great sense of gratitude, of finality, and of astonishment at all we have accomplished. To anyone who ever felt touched by our music, our deepest thanks for listening."

Was sich traurig liest, scheint doch nicht mehr als ein logischer Schritt, hatte sich das kreative Potential der Band doch in den letzten Jahren als nicht mehr ganz so unerschöpflich erwiesen wie noch vor der Jahrtausenwende - Alben wie "Around The Sun", "Accelerate" und "Collapse Into Now" klangen in zunehmendem Maße selbstreferentiell und enttäuschend arm an neuen Ideen. Wenn also das alte Sprichwort noch gilt, man solle die Party am besten verlassen, wenn es am schönsten ist, dann haben sie den Absprung auf den letzten Drücker geschafft. Respekt dafür, ehrlichen Dank dazu, und natürlich die Frage: Was machen eigentlich U2?

Mittwoch, 21. September 2011

Ersatzloser Ersatz



The Duke Spirit „Bruiser“ (Co-Op)
Seit sich im Jahre 2005 Kritikerinstanz und RadioEins-Moderator Wolfgang Doebeling in seiner Rubrik „45 RPM“ beim deutschen Rolling Stone für die Single „Cuts Across The Land“ zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen ließ, ist einiges Wasser die Themse heruntergeflossen. Doebeling frickelt neuerdings recht eigenwillige Listenergüsse zum Thema „Die 50 verkanntesten Meisterwerke der Musikgeschichte“ zusammen, während die Londoner dieser Tage ihr drittes Studioalbum veröffentlichen – die euphorische Kurzbesprechung von damals könnte man jedoch heute noch bedenkenlos unterschreiben.

Auch wenn The Duke Spirit weiß Gott keine besonders innovative Rockmusik fabrizieren, so lassen sich in Punkto Intensität und, tja: Straightness für diese Besetzung kaum vergleichbare aktuelle Beispiele finden – sie sind härter und kantiger als Garbage, Metric oder die Raveonettes, wandlungsfähiger als Melissa Auf der Maur und für die klanglich durchaus verwandte PJ Harvey fehlt es ihnen am gesamtkünstlerischen Anspruch. Dieses Alleinstellungsmerkmal hat die Band, wie könnte es anders sein, zu großen Teilen der Weiblichkeit in Person ihrer Leadsängerin Liela Moss zu verdanken. Moss gehört mutmaßlich zu der Sorte Frauen, zu denen man(n) immer ein wenig bewundernd aufwärts schaut und mit welchen sich die kühnsten Träume samt verr(a)uchtem Absturzambiente und Whiskeyhumpen schmücken lassen. (Wer sie dann, in schwarzes Leder gekleidet, wie eine Furie auf der Bühne umherspringen sieht, weiß schnell, dass auch hier der Wunsch auf ewig Vater des Gedankens bleiben wird.*)

Die Songs auf "Bruiser", nun ja, sie könnten schöner nicht sein: „Cherry Tree“, „Villain“, „Surrender“ – alles feine Rocknummern, dominiert von Moss‘ markant rauchigem Timbre und schepperndem Gitarrenlärm, auch „Running Fire“ schleppt sich satt gemästet ans Ziel. Für „De Lux“ wurde ein sanfterer Beginn gewählt, leicht verklimpert und gegen Ende so düster, dass es auch von Interpol stammen könnte, „Northbound“ leistet sich ein schönes Mundharmonikasolo. Je öfter man die Platte hört, desto mehr wird einem bewußt, wie schwer der Verlust der walisischen Catatonia wiegt – Cerys Matthews ist Liela Moss in Stimmlage und –färbung nicht unähnlich – und wie gut es ist, vor Jahren diesen mehr als brauchbaren Ersatz gefunden zu haben.
www.thedukespirit.com

*für die Unverbesserlichen:
24.09. Hamburg/Reeperbahn Festival
25.09. Berlin/Lido
27.09. Hannover/Capitol
28.09. Köln/Luxor
30.09. München/59:1
01.10. Stuttgart/Universum

Dienstag, 20. September 2011

Sauerei: Spannung auf dem Ansitz



Unvoreingenommenheit ist ja leider eine Tugend, die man sich schwerlich erarbeiten oder antrainieren kann. Stößt man nämlich auf ein Thema und bemerkt anhand der eigenen Reaktion den mangelnden emotionalen Abstand, ist es ohnehin schon zu spät, hier würde tatsächlich nur noch ein Neuralizer (kurz: Blitzdings) der Men In Black helfen. Selbst ein gemäßigter Fleischfresser muß jedenfalls ein paar Mal kräftig schlucken, wird er des neuesten Titels am umkämpften, deutschen Zeitschriftenmarkt gewahr: „SAUEN“ heißt das Heft und ist, entgegen anderslautenden Assoziationen, ein Magazin für die honorige Jägerszunft, genauer diejenige, welche sich aufopferungsvoll um den Bestand an Schwarzwild in Deutschem Forst und Tann kümmert.

Nun, die Berechtigung solch eines Heftes mag ja kein Mensch bestreiten, ohnehin war es eine Frage der Zeit, bis sich neben Fachblättern wie BEEF! und dem „FleischMagazin“ noch weitere Titel um eine schlagkräftige Opposition zu arg verweichlichten Titeln wie „Bäckerblume“ und „Zuckerrübenzeitung“ bemühen würden. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis der ersten Ausgabe von „SAUEN“ allerdings läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

- Exklusive Szenen aus „Schwarzwildfieber 4“
- Faszination Drückjagd
- Vollmond: Warten bis es knackt – Stille und Spannung auf dem Ansitz
- Kaufberatung: Repetierer, Automat oder Doppelbüchse?

Fürsorglich wird der Leser von Chefredakteur Roland Korioth denn auch gleich an die Hand genommen, zum neuen Heft weiß dieser: "'Sauen' ist aktiver, adrenalinhaltiger, aufgeschlossener als andere Jagdzeitschriften. Bei uns trifft Information auf Emotion." Bisher glaubte man ja eher, hier träfe lediglich Kugel auf Schwein, da muss man jetzt wohl umdenken. Na dann: Halali!
www.sauen-magazin.de

Slow Motion



Das kleine Slomo-Filmchen über Tokio, gefertigt von Regisseur Alex Lee und gepostet über kressexpress, wäre als solches vielleicht nicht besonders erwähnenswert, in Kombination mit der Musik von Flying Lotus feat. Thom Yorke ("And The World Laughs With You") ist es allemal ein Hingucker - hier.

Montag, 19. September 2011

Fossile Maulhelden



Kasabian „Velociraptor!“ (Columbia)
Verrückt, wie manchmal alles zusammenpasst. Da liest man ein paar Zeilen über dieses gefräßige und hinterlistige Biest, welches der Velociraptor in grauer Vorzeit als kleinwüchsige Unterart der Dinosaurier gewesen sein soll, warum das fiese Ding also in Crichtons „Jurassic Park“ für mehr als nur eine fossile Pflanzenfresserrolle vorsprechen durfte. Und da steht dann, dass ganze 60 Prozent des Schädels dieses Tieres aus seinem Maul bestehen – und, ja, das passt dann irgendwie auch zu dieser Band. Denn auch Kasabian sind, seit 1997 im Dienst, in erster Linie liebenswürdige Maulhelden, die es unter „beste Band der Welt“ einfach nicht können und lieber einen auf dicke Hose machen als in der Tagessuppe unerkannt mitzuschwimmen.

Stilistisch hat sich im Laufe der Jahre bis hin zur nunmehr vierten Platte nicht viel geändert, die Jungs aus Leicester bespielen noch immer eine Schnittmenge aus Oasis, Primal Scream, Pink Floyd und The Prodigy. Sie beherrschen also noch immer die fast schon ausgestorbene (sic!) großkotzige Britpop-Attitüde und stehen einem Liam Gallagher in der Kunst des lustvollen, manchmal auch nervtötenden Zerdehnens von Vokalen kaum etwas nach. Und natürlich haben sie von ihrer Fähigkeit, eingängige Mitsingnummern am Stück zu schreiben, nur wenig eingebüßt – gleich drei davon gibt es mit „Let’s Roll Like We Used To“, „Days Are Forgotten“ und dem gnadenlos romantischen „Goodbye Kiss“ zu Beginn des neuen Albums.

Für die Drogenbeichte muss diesmal der verteufelte Absinth herhalten („La Fée Verte“), ein bekiffter Tagtraum mit Mariachibläsern. Aufmerken lassen einen das komplett verkabelte „I Hear Voices“, das gefällig vor sich hin pluckert, und auch die anfänglichen Diskobeats bei „Re-Wired“ waren so vielleicht nicht zu erwarten, entwickeln sich aber leider, wie mancher andere Song auch, zu einem etwas mittelmäßigen Gestampfe. Auf das Gewummer früherer Tage muß der Fan bis fast zum Schluß warten, „Switchblade Smiles“ erinnert an die alten Kracher wie „L.S.F.“, „Club Foot“ oder „Processed Beats“, als man sich vor der PA bei Kasabian-Konzerten noch für lau die Haare föhnen konnte. Dass diese Momente fast gänzlich fehlen, macht das Album zwar keineswegs zu einem schlechten, aber für Superlative reicht’s eben auch nicht.
www.kasabian.co.uk

Thirty seconds with Lars



Zugegeben, diesen Mehrzeiler habe ich nur gepostet, weil ich die Überschrift so putzig fand - mehr gibt der etwas lieblos gesnippte Teaser vom bald erscheinenden Album "Lulu" der Herren Reed, Ulrich, Trujillo, Hetfield und Hammet wirklich noch nicht her - dunkles Grummeln vor der Mathmetalwand. Nicht halbso lustig dann der neuste Taufname für die Kollaboration: Loutallica, uff. Eine halbe Minute also - hier.

Samstag, 17. September 2011

Girls talk



Wer noch immer nicht begriffen hat, dass die neue Girls bei der Jahresendabrechnung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wird, der sollte sich schleunigst zum Dealer seines Vertrauens begeben und gutgemeinten Rat ernst nehmen. Für alle anderen hier noch als Nachtrag zur längeren Kurzkritik noch ein Interview, welches The Quietus mit Chris Owens geführt hat, somit allerlei Wissenswertes über die Stimmgewalt von Justin Bieber, Werbestar Iggy Pop, Twitter, Drogen, und und und - hier.

Gebärmuttermusik [in echt]



Wombs „Unitopians“ (Ratio Records)
Dank der findigen Maulwürfe der alten Tante Spex, denen zumindest mein Finderlohn zusteht, gibt es einen Neuzugang in der Sparte „Musik die komisch klingt, aber trotzdem Spaß macht“ zu vermelden. Bislang konnten sich in diesem Jahr dort so seltene Pfänzchen wie Tu Fawning, die Grooms, Dirty Beaches und der fabelhafte John Maus eines ungestörten Wachstums erfreuen, nun also auch noch Wombs aus Ohio, deren Album „Unitopians“ knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung in Übersee nun auch hier zu haben ist. John Ryan Manning, Songwriter des Quartetts, verriet in einem Interview, dass es für ihn keinen Sinn ergäbe, „Musik zu machen, die sich wie etwas anhört, das man schon mal gehört hat“ – Ziel erreicht, denkt, wer sich auf die Mixtur aus berückender Kammermusik und chaotischem Gezeter einläßt, so etwas hört man zumindest nicht allzu oft.

Kaum ein Song der Platte gleicht in Struktur und Charakter dem anderen: Mit dem Instrumental „Topiary Living“ wird die Platte dunkel wummernd eingezählt, im darauf folgenden „God’s My Co-Pilot“ schon brechen sich zarter Falsettgesang mit kreischendem Durcheinander. „Heart And Lungs“ wiederum beginnt wie ein uralter Wedding-Present-Punkskiffle, um mit der Anmutung afrikanischer Stammesgesänge zu enden, „Purple People Bridge“ ist ein Heuler mit Billigsynthies und einer Stimme, die zwischen dem rauchigen Timbre von Suedes Brett Anderson und dem Gequengel eines Axl Rose pendelt. Nichts wurde vergessen, jeder noch so winzige Gimmick eingebaut, Bläsersätze natürlich („Ghost Road“), wilde Drums, die „Cone Bearing Trees“ wie einen Ameisenhaufen wirken lassen – die Wombs sind Meister überaus unterhaltsamer Wundertütenmusik.

Aber auch in visueller Hinsicht wissen sie zu überraschen – das Cover ihres Albums sieht aus, als wäre es aus derselben Fotosammlung gefischt worden wie das gerade erschienene „Portamento“ der Drums: grobkörnig, befremdlich, irgendwie furchteinflößend. Der Junge, eine Mischung aus dem jungen Anakin Skywalker und Macaulay „Kevin allein zu Haus“ Culkin, die Frau eher ein Mann – verwirrend eben. Die Spex urteilt im Übrigen ungewohnt kurz: „Diese Platte ist toll.“ Dem ist dann auch nichts hinzuzufügen.
http://wombs.bandcamp.com/album/unitopians

Donnerstag, 15. September 2011

Gute Nacht!



Ein Verweis mit Nachdruck auf die feine und ambitionierte CD-Serie LateNightTales – ausgesuchte Künstler stellen eine Auswahl persönlicher Lieblingsstücke zum naheliegenden Thema zusammen, nach Fat Boy Slim, Midlake, Belle And Sebastian, Air und den Flaming Lips haben nun MGMT das Kuratorenamt übernommen und sammelten neben Songs von Velvet Underground, Suicide, Spacemen 3, The Chills und Julian Cope auch ein höchstselbst gebasteltes Cover des Bauhausklassikers „All We Ever Wanted Was Everything“ für den Silberling ein. Ruhe sanft – Tracklisting, Downloads, Snippets, Tamtam – hier.

Kleinlaut für einen Großen



Da dieser Blog bekanntermaßen nicht gerade das Kompetenz-Zentrum für Jazz, Soul und Bigband ist, heißt es an dieser Stelle einfach mal die Klappe zu halten und nur darauf hinzuweisen, dass Tony Bennetts großartige Duettreihe nach 2006 in diesen Wochen eine nicht minder erstklassige Fortsetzung gefunden hat. Neben altbekannten Namen wie Michael Bublé und k.d. lang finden sich auf dieser Sparringspartner wie Lady Gaga, Willie Nelson, Norah Jones, Aretha Franklin und – daran war in den letzten Tagen kaum ein Vorbeikommen – ein letzter Song zusammen mit Amy Winehouse. Hört man sich selbiges „Body And Soul“ an, erübrigt sich ohnehin jedes eitle Wort. Das Album (fast) komplett im Stream bei npr.

Mittwoch, 14. September 2011

Meinungsmache



Neues aus der Sparte "Dinge ohne Sinn und Zweck, die kein Mensch braucht, aber ganz sicher einschlagen werden wie nix": Du hast (irgend)eine Meinung? Gehe auf http://www.getamen.com/, poste den Unsinn und schau nach, wen der Quatsch noch interessiert. Gibt's jetzt also auch.

Krach mit Seele



Waters „Out In The Light“ (City Slang)
Vom vielfach beschworenen Grunge-Revival war ja in den vergangenen Wochen, abgesehen von der üblichen Beweihräucherung der bekannten Ikonen, also Nirvana-Reissues, Pearl Jams „Twenty“-Doku von Cameron Crowe und dem Bohei um die Reunion von Mother Love Bone, nichts wirklich Aktuelles, Jetztzeitiges zu hören. Van Pierszalowski schickt sich nun an, dies zu ändern. Der Mann mit dem holprigen Namen hatte sich ja in kurzer Zeit als Gründer und Sänger der Folkrocker Port O’Brien völlig zu Recht einige Meriten erworben, deren schnelles Ende von vielen Anhängern bitterlich beweint worden war.

Glücklicherweise kehrt Pierszalowski nun nach einer Auszeit mit seinem neuen Soloprojekt Waters ins Rampenlicht zurück und hat mit “Out In The Light” eine Platte im Gepäck, die es mit ihrer gelungenen Symbiose von entfesseltem Krach und honigsüßer Melodie durchaus mit den oben genannten Vorbildern aufnehmen kann. Natürlich bleibt Waters kein lupenreiner Flanellhemdengrunge, dafür ist Pierszalowski zu clever und auch aus Zeiten von Port O’Brien zu tief im zarten, harmonischen Folk verwurzelt. Aber wenn er für Stücke wie den Opener “For The One”, “Back To You” oder “Abridge My Love” die Saiten im Duett mit seiner Stimme kreischen lässt, dann ist man schnurstracks bei Mudhoney oder auch den frühen Lemonheads und fühlt sich nicht mal unwohl dabei. Mit diesem Kreis teilt er offenkundig auch die Verehrung für die elektrisierenden, krachigen Akkorde eines Neil Young, die bei “O Holy Break Of Day” so wunderbar aus den Boxen knattern.

Nebenher bleibt viel Raum für ruhigere, besinnliche Töne, “Ones You Had Before” wurde ebenso wie “San Francisco” und der Ausklang “Micky Mantle” aus weicheren Stoffen gewoben, hier erinnert Pierszalowski sehr an seine Labelmates und Tourbegleiter Wye Oak aus Baltimore, die ja mit “Civilian” in diesem Jahr schon ein beachtliches Achtungszeichen setzen konnten. Der Rest spielt sich im Kopf ab – wer ihn auf dem grobkörnigen Coverfoto etwas ungelenk herumstehen sieht, der denkt vielleicht mit ein wenig Wehmut an den die frühen Bilder von Kurt Cobain oder Thurston Moore – in diesem Licht betrachtet dann doch eine richtig gute Platte zur richtigen Zeit.
http://www.cityslang.com/free-mp3/25440/waters-for-the-one/

Montag, 12. September 2011

Traurig hinterm Trend



S.C.U.M. „Again Into Eyes“ (Mute)
Ein Blick in die bleichen, todernsten Gesichter der Band reicht aus, um einem die Lebensfreude zumindest für den Rest des angebrochenen Tages auszutreiben und nicht zum ersten Mal fragt man sich, was um Himmels Willen junge Menschen dazu treibt, ihren Weltschmerz derart professionell zu inszenieren. Natürlich ist diese Frage, selbst wenn sie rhetorisch gemeint ist, eine unsinnige – schon in den trübseeligen 80ern, wo auch die Wurzeln von S.C.U.M. zu verorten sind, zählten Ambition, Style und Attitüde zu den hauptsächlichen Motivationsgründen zahlreicher Wave- und Postpunkzöglinge und der Blick auf die aktuelle Szene mit Interpol, White Lies, den Editors oder The Drums zeigt, dass sich daran nichts geändert hat.

Es fällt nicht schwer, den Sound von S.C.U.M. zusammen mit der leicht nöligen Stimme von Thomas Cohen in Bezug zu den Liverpoolern Echo And The Bunnymen und deren Sänger Ian McCulloch zu setzen, Songs wie „Days Untrue“ oder die Single „Amber Hands“ benutzen neben dem obligatorischen Pathos ähnliches Werkzeug wie die etwas schlierigen Synthies und den hallenden Gesang. Bei anderen Stücken („Paris“ etc.) erinnert das Quintett aus London an die bleischweren Trauergesänge der in Vergessenheit geratenen Calla oder auch an die Meister der Schwermut von iLikeTrains. Dass sie dennoch das Gespür für die kleinen, feinen Hits haben, beweisen sie ganz zu Beginn und am Schluß des Albums, „Faith Unfolds“ und „Whitechapel“ sollten in der Indiedisco, so es sie noch gibt, keinen schlechten Stand haben. Insgesamt ist „Again Into Eyes“ sicher ganz ordentlich gemacht, aber auch nicht eben neu und für einen Trend fast ein wenig zu spät.
http://www.myspace.com/scum1968

Rückrufaktion



Das passiert, wenn ein Mitarbeiter von Apple den Prototyp des neuen iPhone-5 auf einem Bar-Tresen vergisst: hier.

Griechischer Herbst



Nach "Your Future, Our Clutter" kommt im November das - man mag es kaum glauben - 29. Studioalbum von Mark E Smith und derzeitiger Begleitband The Fall in die Regale. Erwähnt werden muß das deswegen, weil der Plattentitel mit "Ersatz G.B." mit Liebe gewählt wurde und auf dem guten Stück laut Auskunft des alten Grantlers ausschließlich "greek heavy metal" enthalten sein wird. Ehrlich, nichts anderes haben wir erwartet. Tracklisting, Ersatztermine, Tamtam - hier.

Sonntag, 11. September 2011

4:2 und Spaß dabei



Nichts gesehen - was bei diesem famosen Spätsommerwetter im Kreise der Kleinfamilie nicht verwundert - und trotzdem gut gelaunt: Der Newsticker des kicker-Apps machte seine Sache gut und servierte dem Fan und Nutzer am Deininger Weiher trotz anfänglicher Irritation (0:2, Eigentor?) schlußendlich doch die richtigen, die guten Nachrichten zum Spiel des FC St. Pauli gegen die 60er aus München. Ein Prosit also der Gemütlichkeit und besten Dank an die tolle Truppe!

Geht's noch, ARD!?



Nach dem vielbedauerten Abschied von Mehmet Kurtulus als Hamburger Tatort-Kommissar suchst Du ja bekanntlich seit längerer Zeit einen geeigneten Nachfolger - nun sollst Du, wie FAZ und Spiegel vermuten und der kress-Report schreibt, angeblich fündig geworden sein. Und der Name, der da fällt, läßt einen sprachlos die Kinnlade herunterklappen: Til Schweiger? Sonst noch was? Ist Dir der schleichende Imageverlust Deiner Krimiserie so wenig bewußt respektive so sehr wurscht, dass Du in Deiner Not auf einen Schauspieler verfällst, der in fast jedem seiner Filme zwischen ausschließlich zwei Charakterbildern, nämlich dem des bemittleidenswert geistarmen Trottels und dem des triebgesteuerten und ordinären Testosteronkaspers agiert, ist das Deine Antwort auf Bildungsoffensive und kulturellen Anspruch? Schweiger hat zudem als Breisgauer so viel hanseatische Ausstrahlung wie Andy Borg oder Peter Gauweiler und so bleibt zu hoffen, dass den Worten des NDR-Unterhaltungschefs Thomas Schreiber, man beteilige sich nicht an Spekulationen, seien sie auch noch so faszinierend oder absurd, ein erleichterndes Dementi in Sachen Schweiger folgt.

Freitag, 9. September 2011

Erweckung vs. Frühlingserwachen



Girls „Father, Son, Holy Ghost“ (Turnstile)
Grundgütige Dreifaltigkeit – was es nicht alles gibt! Da treffen sich zwei Mädels und bringen unter dem Namen „Boy“ eine gutgelaunte Sommerplatte unters Volk und just zur gleichen Zeit melden sich zwei Jungs unter dem Namen „Girls“ zurück und verzücken die Musikbranche mit dem Nachfolger ihres hochgelobten Debüts „Album“, das schon im Jahre 2009 hohe Wellen geschlagen hat. Doch nicht genug der Eigenartigkeiten*, ist doch Christopher Owens, der Sänger der Combo, ein ehemaliges Mitglied der in Amerika in den Spätsechzigern gegründeten Erweckungsbewegung Children Of God. Das zu wissen, setzt einen ziemlich merkwürdigen Bezug zum Albumtitel und zu so manchem Songtext auf „Father, Son, Holy Ghost“ – doch dazu später.

Die Musik der beiden ist eine zwar merkwürdige, aber durchaus bezaubernde Mischung aus Beach Boys, Guns’n‘ Roses und Pink Floyd und wer so virtuos quicklebendigen Surfsound mit Hard- und Progrock zu vermischen versteht, der sollte eigentlich vor Selbstbewußtsein platzen – nicht so die zwei. Schüchtern, fast kindlich pubertär nehmen sie den Hörer mit auf eine Reise durch die Höhen und Tiefen der juvenilen Gefühlswelt, fast möchte man dem Album deshalb Wedekind’sche Dimensionen unterstellen. Für die verschämten und unbedarften Zeilen, mit denen die zwei ihr „Frühlingserwachen“ illustrieren, muß man sie einfach lieben.

Begonnen beim noch hoffnungsvollen „Honey Bunny“ („They don’t like my boney body, they don’t like my dirty hair ... you will love me for all the reasons everyone hates me“) über das verliebt-verträumte „Alex“ („I'll sing you a song, would you listen to a lover's song? ... Anywhere, anyway, only you“) bis hin zum wütenden, kopflosen und trotzigen „Die“ („We’re all going straight to hell“) – Girls verstehen es nahezu perfekt, die Balance aus zuckersüßer Melodie, gelegentlicher Atempause und beinhartem Rockfetzen über alle Songs zu halten. Keine Angst, weder vor einfachen Texten noch vor einfachen Akkorden – nur dann kann man so rührend über beschämende Zurückweisung singen („Saying I Love You“), sich glaubhaft im Selbstmitleid verkriechen („Just A Song“) ode die Magie des Neuanfangs beschwören („Magic“).

Natürlich ist es grober Kisch, wenn Owen allen Ernstes auch noch seine Mutterliebe thematisiert („My Ma“) oder im monströsen „Vomit“ zu krachenden Gitarren samt Orgeln und Backroundchor seiner Angebeteten ins Dunkel hinterhertaumelt – wer aber will ihnen das übelnehmen? Und zugegeben, wenn in „Forgiveness“ fast acht Minuten zu Worten, die man in deutscher Übersetzung niemals hören will („Nothing’s gonna get any better, if you don’t have a little hope, if you don’t have a little love, in your soul, nothings gonna get any better, if you’re drowning in your fear, if you’ve got nothing but sorrow, in your soul“) die Selbstreinigung gepriesen wird, dann wird einem schon mal etwas schummrig zumute.

Aber es spricht ja nichts dagegen, sich ab und zu auch von den einfachen Dingen angreifen zu lassen und sich mit den Jungs zu freuen, wenn sie am Ende ernüchtert, aber versöhnt verkünden: „Maybe it’s allright, I mean, I went and found the modern world, but I miss the way life was when you were my girl.“ Komplizierter müssen die Dinge nicht sein. Vielleicht macht man es sich zu einfach, vielleicht geht man den beiden gerade mächtig auf den Leim – trotzdem: Nichts weniger als das Album des Jahres (so far).

[*Eigenartigkeiten, Fortsetzung: Cover nur mit Texten zu gestalten, hat eine kleine, aber feine Tradition - so gesehen bei XTC oder eben auch bei Alice Cooper. Der hatte sich für seine Platte "Zipper Catches Skin" Ähnliches überlegt - auf der Platte findet sich lustigerweise dann auch ein Stück mit dem Titel "I Like Girls", ah ja ...]

Tapete in 3D



Bevor Kraftwerk am 12. und 13. Oktober ausstellungsbegleitend für zwei Konzerte nach München kommen, haben sie sich beim renomierten englischen Design- und Lifestylemagazin Wallpaper als Gast-Herausgeber verdient gemacht. Die Oktoberausgabe des Heftes erscheint mit kommentierter 3D-Kunst der Elektropioniere aus dem Rheinland, in der iPad-Version natürlich noch durch entsprechenden Sound ergänzt.

Donnerstag, 8. September 2011

Amtshilfe



Aus Anlaß des zehnjährigen Jubiläums des U2-Mauerbrechers und Dauerbrenners "Achtung Baby" wird wohl bald eine Art Cover-Compilation das Licht der Welt erblicken, auf der sich erwartungsgemäß die hoffähige Prominenz die Klinke in die Hand geben wird. Tastenmann Andy Fletcher, seinen Fans als rechte Plaudertasche bekannt, hat nun wissbegierigen russischen Journalisten verraten, das auch Depeche Mode ihren Teil zur Honoration beisteuern werden, depechemode.com will wissen, dass es sich dabei um eine Version des Songs "So Cruel" handelt. Kommissar Wallander würde sagen: "Gut, dann wissen wir das also."

Leider von Bord



Mit Hans Apel ist am 6. September nicht nur ein - ja, das gibt es noch - sympatischer und erfreulich nonkonformistische Politiker und Wegbegleiter Helmut Schmidts verstorben, sondern auch ein leidenschaftlicher und treuer Fan des FC St. Pauli. Rest in peace.

Mittwoch, 7. September 2011

Gelassen am Abgrund


Wilco „The Whole Love“ (Anti)
Die gute und die schlechte Nachricht zum neuen Wilco-Album, zusammengefaßt in einem Satz gleich zu Beginn: „The Whole Love“ ist genauso wenig „Art Of Almost“ wie die vorangegangene Platte „Bull Black Nova“ war – und trotzdem ist der Band in der Summe ein wunderschönes Stück Musik gelungen, wieder einmal. Warum Jeff Tweedy, der es ja trotz des verknitterten Blickes mittlerweile zum Coverboy des deutschen Rolling Stone geschafft hat, das für die Band untypischste Stück diesmal nicht in der Mitte, sondern gleich am Anfang platziert hat, darüber kann man nur spekulieren. Recht schnell ist aber klar, dass die gut siebeneinhalb psychedelisch knirschenden Minuten hier die Ausnahme und nicht die Regel bleiben – schon mit „I Might“, das anrollt wie der Teufel, ist man wieder ganz daheim in der Wilco-Welt.

Zusammen mit dem dritten Song „Sunloathe“, also dem etwas irritierenden, naja, „La Boum“-Element des Albums, hat man dann auch schon die Spannbreite von „The Whole Love“ ausgemessen, und die ist, wie eigentlich stets bei Wilco, erfreulich breit. Der Facettenreichtum der Songs ist ja nicht ohne Grund ihr größtes Pfund, das galt für die frühen Meisterwerke wie „Summerteeth“ bis hin zu den letzten Veröffentlichungen. Halbspaßig darf einer wie Tweedy denn auch unwidersprochen bemerken, Leute wie Jon Bon Jovi hätten die Musik ruiniert, denn während dieser Zeit seines Lebens ein und denselben Schmachtfetzen zu Tode reitet, gelingt es dem Sextett aus Chicago Jahr um Jahr, eine ziemlich große Klammer um ihr Repertoire zu setzen.

Vom klassischen, aber keinesfalls breitbeinigen Rock („Dawned On Me“, „Born Alone“ und „Standing O“) über alternativen Country („Open Mind“) bis hin zu locker beschwingten Stücken wie „Capitol City“ und „Whole Love“ ist wieder alles an Bord. Für die bestechendsten Momente allerdings kramt Tweedy noch immer tief in seiner schwarzen Seele – ein kurzer Blick in den Abgrund etwa beim berückenden „Black Moon“: „I was always right about the morning, I'm an old soul danced above the blades. Never stopped crawling, hold up black days, I'm waiting for you, waiting forever …”.

Auch “Rising Red Lung” und das überlange, aber nicht minder bezaubernde “One Sunday Morning” sind solche Herz- und Seelenwärmer. Tweedy behauptet ja selbst, er halte nicht viel vom Mythos des “gequälten”, also zwangsläufig überzeugenden Musikers, er habe mit seinen dunklen Seiten, zeitweise auch depressiven Momenten, zu leben gelernt und werde seitdem immer besser. Diese Selbsterkenntnis will der Hörer gern bestätigen, Wilco-Alben gehören ohne Zweifel zu den im besten Wortsinn zeitlosen Dingen, zu denen man Jahre später noch greifen kann, ohne nur einen Moment der früheren Begeisterung zu vermissen. Und wenn dann noch, wie beim Anfangsstück, der experimentelle Sound ein wenig mehr Platz bekommt, dann wird auch das mit Dank angenommen.
http://wilcoworld.net/

Ach Gottchen, Kate ...



Was denkt der maßvoll gebildete Mitteleuropäer, wenn er bei IMDb die folgende Schlagzeile liest: „Newlywed Kate Moss is still shocking the world as a married woman - she has bared almost all for a short film that doubles as a new Rimmel ad“? Ach Gottchen, denkt er vielleicht, die Moss macht sich mal wieder nackig. In den letzten Jahren waren ja eher die Momente, in denen sich das Model nicht hüllenlos zeigte, die seltenen, kein Grund also, Schweißperlen auf der Stirn zu bekommen oder verlegen zu hüsteln.

Die Story des Spots ist ebenfalls denkbar simpel, Moss gibt für einen lullebackigen Fotoschnösel das Aschenputtel, darf zwischendrin kurz mit den Vaccines jammen und entschwindet dann stilecht im Helikopter. Die besagte Freikörperszene kann man nur mit geübtem, dann aber gleich gelangweiltem Auge entdecken – den Clip selbst muss man allerdings eine Weile suchen im sonst so barrierefreien Web. Am Ende war der taubenblaue Hochzeitsanzug von Gatte Jamie Hince um ein Vielfaches cooler und die Aufregung auch wert – in punkto Kate-Moss-Video darf man sich gern bei früheren Werken glücklich schauen.

Congrats, Engeland!


Geschmackssicheres Urteil, verdiente Siegerin: Wie erhofft gewann PJ Harvey in der vergangenen Nacht für ihr Album "Let England Shake" den mit 20.000 Pfund dotierten britischen Mercury Prize - als erste Künstlerin überhaupt zum zweiten Mal nach ihrer Auszeichnung für "Stories From The City, Stories From The Sea" aus dem Jahr 2001. Shortlist, Dankesworte, das ganze Tamtam - hier. Gute Wahl.

Dienstag, 6. September 2011

Zum Kotzen



Genau das sind sie, die letzten Geheimnisse, die der Fan noch wissen will/muß und ohne die zu leben sich nicht lohnt. Der neuen Ausgabe der britischen Vogue erzählte Retrosternchen Adele nun (noch), dass sie gern mal aus Gründen des Lampenfiebers vor Auftritten ihren Mageninhalt hinter der Bühne läßt. Dies allerdings geschehe keinesfalls, um den BMI auf optimaler Größe zu halten – solcherlei Gedanken sind ihr laut Selbstauskunft völlig fremd. Gleich noch das Thema Familienplanung drangehängt, fünf Kinder sollen es schon sein – nur Jungens allerdings, denn dass Söhne ihre Mütter lieben, liege auf der Hand, die Mädels seien dagegen fürchterlich gemein zueinander. Ach was, würde Loriot jetzt wohl sagen, wenn er es denn könnte. Kopfschütteln wäre die andere Alternative.

4,5 < 4 [Update]



Kaum ist die zweifellos unsinnige Compilation "TOTAL" weggeschrieben, kommt diese kleine Meldung um die Ecke: Zur Unterstützung des erkrankten Freundes und Filmemachers Michael Shamberg werden New Order (oder zumindest Reste davon) für zwei Konzerte auf die Bühne zurückkehren. Für die Shows in Paris (La Bataclan) und Brüssel (Ancienne Belgique) werden neben Bernard Sumner, Stephen Morris und Phil Cunningham noch Bassist Tom Chapman (Bad Lieutenant) und, erstmals seit mehreren Jahren, auch Gründungsmitglied Gillian Gilbert mit von der Partie sein. Was der alte Cpt. Hook davon hält, läßt sich ahnen und in den nächsten Tagen sicher auch hier und dort lesen.

Montag, 5. September 2011

Leslies behutsame Schwestern



Was sich da so flockenleicht und watteweich in den Gehörgang schmeichelt, erinnert schon verdammt an die gute Leslie Feist – „Mushaboom“, „My Moon, My Man“ und „1234“, solche Sachen. Stammen tuen die melancholischen Wohlklänge allerdings von einer Art deutsch-schweizerischer Mädels-WG mit Namen „Boy“. Valeska Steiner aus Zürich und die Hamburgerin Sonja Glass haben im Jahre 2005 musikalisch zueinander gefunden und nach einer ersten EP nun auf olle Herberts Grönland-Label auch ihr Debüt herausgebracht. „Mutual Friends“ vereint zwölf melodisch fein gestrickte Fliegengewichte, nie laut, selten ungehalten und perfekt dafür gemacht, einen im Handstreich für sich einzunehmen.

„This Is The Beginning“, „Waitress“, „Drive Darling“, das sind im besten Sinne schön ausbalancierte Miniaturen eines Befindlichkeitspops mit Mut zur Zartheit und ohne bemüht rotzige Grrrrrlhaftigkeit. Wenn bei „Boris“ die allzu forsche Männerwelt in die Schranken und aus der Stadt gewiesen wird, geschieht selbst das mit viel Gefühl und ohne gleich richtig böse zu werden – das Rauhe, übertrieben Freche ist ihre Sache nun mal nicht. Dann lieber mal ein Cello zum Piano („Waltz For Pony“) oder fast auf Acapella heruntergedimmt („July“). Die belebteren Stücke wie „Little Numbers“, „Oh Boy“ und „Skin“ flippen nicht aus, sondern swingen gezähmt und auch das paßt gut ins Bild.

Nur eine Frage der Zeit, wann der erste deutsche Regisseur bei den beiden anklingelt und fragt, ob er wohl sein ambitioniertes Herbstfilmchen mit der Musik von „Boy“ veredeln dürfte. Kommen wird das sicher, üblicherweise wird bei Newcomern jedoch gern in umgekehrter Reihenfolge verfahren – dass das Duo ein derart reifes Debüt wie „Mutual Friends“ schon vorher in der Tasche hat, spricht dann eher für sie.
http://www.listentoboy.com/

Mensch, Freddie!


Nun hat google Deinen heutigen Geburtstag so schön eingedoodelt und so bleibt einem nur noch, zum 65. ein paar gute Wünsche nach oben zu schicken und zu bekennen, dass Deine Nachfolge hier unten noch immer nicht geregelt ist, man deshalb weiterhin gern in Erinnerungen schwelgt und es nach wie vor Sachen gibt, die Du einfach nicht verdient hast. Und zusammen mit dem Neuzugang werdet Ihr den alten Mann da oben hoffentlich auch weiterhin locker halten ...

Freitag, 2. September 2011

Army Of Others



Wie sie’s nur immer wieder hinbekommen. Während immer mehr Bands auf den Zug „Complete Performing of ...“ aufspringen und alte Werke zur Gänze dem Publikum darbieten – zuletzt tourten ja sogar Therapy? mit einem mehr oder weniger vollständigen Set von „Troublegum“ (naja, verschämtes Gähnen) – gehen die Blogger von stereogum ihren bewährten Weg weiter und lassen mutmaßliche Meilensteine komplett covern. Erst R.E.M.s „Automatic For The People“, hernach „OK Computer“ von Radiohead und nun, fünf Wochen vor der Veröffentlichung von „Biophilia“, wird Björks „Post“ unter dem Namen „Enjoyed“ verhackstückt.

Natürlich sind dabei nicht nur Glanzstücke zu hören, vieles hat hier wirklich Liebhabercharakter, aber wenn „Army Of Me“ von den Liars nach allen Regeln der Kunst zerlegt wird, Jamie Stuart von Xiu Xiu „Isobel“ kaum hörbar dahinwispert und sich No Age durch „It’s All So Quiet“ schmirgeln, dann darf man schon mal ein Ohr riskieren. Hinzu kommen Acts wie White Hinterland, die Dirty Projectors und, fast schon obligatorisch, Owen Pallett alias Final Fantasy – reinhören: hier.

Rock vs. Metall 1:0



In den letzten Monaten durfte man ja zur (in der Tat erstaunlichen) Zusammenarbeit von grantelndem Rockstar (Lou Reed) und brachialen Mathmetallern (Metallica) allerhand Überraschendes lesen, was ihr gemeinsames Wedekind-Projekt „LULU“ anbelangt. Ob es nun stimmt, dass dieses Werk alles übertrifft, was Meister Reed jemals in seinem Leben geschaffen hat, darf zumindest in musikalischer Hinsicht ernsthaft bezweifelt werden, Genaueres weiß man aber wohl erst, wenn die Platte am 28. Oktober erschienen ist. Vorab zunächst das Cover, erfreulicherweise mehr Rock als Metall – der Rest bleibt spannend.

Donnerstag, 1. September 2011

Unterhaltung aus dem Referenzkästchen



Stephen Malkmus & The Jicks „Mirror Traffic“ (Domino Records)
Stephen Malkmus gehört ganz sicher zu der Sorte von Menschen, über die sich, wenn man das so sagen darf, vergleichsweise lustvoll recherchieren lässt. Gerade im Zuge der Veröffentlichung des aktuellen Albums seiner Zweitband The Jicks hat der Mann mächtig viel Zeit mit Journalisten in Hotelzimmern und/oder dazugehörigen Bars verbracht und in jedem dieser Bewerbungsgespräche steckt eine ganze Menge seines eigentümlichen, hölzern-kauzigen Slackerhumors, der wiederum seiner Art zu musizieren nicht ganz unähnlich ist.

Produziert und arrangiert wurde „Mirror Traffic“ ja bekanntlich von Beck, der immer öfter den Platz hinter dem Mischpult dem davor vorzuziehen scheint, nach Marianne Faithfull, Charlotte Gainsbourg und Thurston Moore ließ er sich nun von der Band zur Zusammenarbeit überzeugen, auch wenn deren Chef dem Unternehmen anfangs etwas misstrauisch gegenüberstand. Das Ergebnis jedoch kann sich mehr als hören lassen und das schöne daran ist, dass Malkmus (mehr oder weniger unfreiwillig) zusammen mit seiner Truppe eine ganze Reihe guter Erinnerungen aus dem Referenzkästchen schlüpfen lässt. Zwar behauptete er gegenüber der New York Times kürzlich: „I can’t really imitate anyone very well“ – aber da irrt der Mann.

„Tigers“ und „Tune Grief“ lassen sich schnell bei Frank Black und den Pixies verorten, das ruhige „No One Is As I Are Be“ erinnert angenehm an Lou Reed und bei Songs wie „Asking Price“, „Fall Away“ und dem großartigen „Stick Figures In Love“ könnten auch die Go-Betweens mit im Studio gewesen sein. „Long Hard Book“ wiederum croont er wie Altmeister Bowie persönlich und schiebt auch gleich noch eine passende Spacegitarre mit unter – man nimmt ihm all diese Anleihen nicht übel, es klingt einfach zu lässig und gekonnt. Bei „Senator“ wird sein Humor etwas weniger verzwirbelt, von Adam Green ist man ähnlichen Klamauk gewöhnt (– hier lohnt im Übrigen einen Blick auf einen Auftritt in einem Plattenladen in Hollywood und das nicht nur wegen des lustigen „Blow-Job-Contests“, sondern auch um zu sehen, dass Malkmus einer der wenigen uneitlen Mittvierziger ist, die ohne jede Peinlichkeit noch in Shorts auf der Bühne stehen können.)

Wer sich an den Texten des Mannes abarbeiten möchte, wird schon bald die Segel streichen müssen. Nur wenige davon sind eindeutig und eingängig, das meiste funktioniert rein assoziativ oder klingt einfach nur gut wie bei „Spazz“: „Would you like to skim my bible? Suffer like a Christmas goose, how can I avoid your libel? Get out of the way, there's nuns on the loose, all roads seem to lead to China, how long till we learn to love?” Malkmus hat auch dazu eine sehr eigene Meinung: “„I think that's just the tendency of humankind to think you're a better artist if you say something that's, you know, 'meaningful'. It's just the natural way. It pulls a chair out of the dialogue a bit if it's coming from your subconscious or you're just mumbling a load of bollocks. That is supposed to be worse.“ (Quietus) Sei’s drum, eine perfekt eingespielte Band und ein paar ordentliche Lacher – man fühlt sich jedenfalls gut und geistreich unterhalten. Und das ist heutzutage nicht mal so wenig.
http://stephenmalkmus.com/

Electric Elvis



Dirty Beaches „Badlands“ (Zoo Music)
Völlig rätselhaft, aus welcher Hirnrinde sich Alex Zhang Hungtai die Idee für diese Musik geschält hat. Dirty Beaches, so der Name des Soloprojektes, ist eine krude Mischung aus Country, Rockabilly und Surfgitarre, namentlich also Cash, Orbison und Link Wray, produziert auf allerlei analogem Equipment, die klingt, als würde man den Sound mit maximalem Volumen und größtmöglicher Lautstärke mutwillig durch ein Nadelöhr – Idee hier: billige Aktivboxen vom Import/Export um die Ecke – pressen. Geschreddert, zersägt, geborsten, das sind die Attribute, die einem da in den schwummrigen Schädel tropfen.

Faszinierend natürlich auch, gerade weil Hungtai trotz aller Rohheit manchem dieser düster scheppernden Klanggebilde überraschend Zärtlichkeit und Anmut verleihen kann, wer sich von „Badlands“ Stücke wie „Lord Knows Best“ oder „True Blue“ anhört wird das verstehen. Geboren ist der Mann in Taiwan, als Nomade moderner Prägung lebte er zeitweise in Honululu, Montreal und Vancouver und sammelte dort die Erfahrungen, die er nun in Musik und Bühnenarbeit steckt. Gern nimmt er dem Vernehmen nach für seine Performances wechselnde, fiktive Identitäten an, verständlich, ist er doch nebenher noch ausgewiesener Fan der frühen Filme von Wong Kar Wai und, wen wunderts, der Streifen von David Lynch.

Insofern wundert es etwas, dass sich Quentin Tarantino, in punkto ausgefallener Soundtrackmelodien bekanntlich Genie und Connasseur in einem, noch nicht bei Dirty Beaches gemeldet hat, für dessen splattrigen Psychohorror sollte das doch genau die passende Untermalung sein. Vermeiden allerdings sollte Tarantino bei etwaigen Vertragsvergandlungen jedoch den Vergleich mit Chris Isaak – so geschehen bei einem früheren Konzertauftritt – Hungtai dazu: “That was pretty devastating for me.” Versteht man, irgendwie.
http://www.myspace.com/dirtybeaches

Schulte sein Schreibtisch - Teil 6 und Ende



Das Transferfenster ist nunmehr geschlossen - wie die SZ vermerkt die einzige Möglichkeit, Felix Magath für kurze Zeit vom verzweifelten Schachern auf dem Kickerbasar fern zu halten - und auch der FC St. Pauli hat noch einmal zugeschlagen. Der Vollständigkeit halber sei also erwähnt, wenn auch leider ohne Schulte und ohne Schreibtisch, dass der 20jährige Stürmer Petar Sliskovic bis Ende der Saison von Mainz 05 ausgeliehen wird und somit neben Saglik den altgedienten Kiezgrößen wie Ebbers, Hennings und Schindler Beine machen soll. Keine schlechte Idee, das.